WS01/02: „Einführung in die Unterrichtsplanung“ (VAK 01-803) bei Hans-Jörg Niedderer von Florian Suhling und Benedikt Heiny
Laven, P.: Olympischer Sieg
Gaudin hieß der braunlockige, französische Fechter, der einmal in die Höhe einer Entscheidung hinein plötzlich die Stille der Besinnung brachte.
Dabei hatte er sein gallisches Temperament vorher wild in den Kampf hineingeschlagen. Der Wunsch der Teilnehmer, in dieser letzten Florettentscheidung der Olympischen Spiele in Amsterdam 1928 den Sieg zu erringen, schuf eine Atmosphäre, die zum Zerreißen gespannt war. Der lange Italiener, der Gaudin gegenüberstand, war ihm an Reichweite überlegen. Von der Höhe seiner 2,05 Meter herunter hielt der kühlere Italiener den heranfedernden Gaudin in Distanz.
Und dann kam jener großartige Augenblick, in dem Gaudin zum Inbegriff des Fair Play wurde, zum unvergeßlichen Beispiel des Sportkämpfers, der sich selbst überwand.
Der Italiener hatte den wild andrängenden Franzosen abgefangen. Erregte Rufe lösten sich aus der scheinbaren Reserviertheit der Zuschauer. Auch aus Gaudins Mund drangen helle Laute, mit denen er seinen konzentrierten Angriff zu beflügeln suchte. Die hohe Fechterkunst der beiden lateinischen Nationen entfaltete sich in einem klassischen Kampf. Im Getümmel von Angriff und Abwehr unterbrach plötzlich das Kampfgericht. Der Italiener hatte von seiner Höhe herab die Waffe gesenkt und schaute ihrer Spitze nach. Offensichtlich wußte er nicht genau, ob er einen Treffer erzielt hatte. Im Gremium der Kampfrichter ging der Streit der Meinungen hin und her. Was sich jedoch hinter den Gittern der Haube auf den Gesichtern der Fechter abspielte, wußte niemand. Als sich die Kampfrichter schließlich geeinigt hatten, trat ein Sprecher vor und verkündete: "Non touché" - "Kein Treffer!" Da geschah das Wunderbare. Der Franzose riß die Haube herunter. Sein Gesicht war tiefrot und von einem durchdringenden Glanze erfüllt. Er hob das Florett steil hoch vor die Brust, trat einen Schritt zum Kampfgericht hin und verkündete:
"Je suis touche!“
Eine Ruhe trat ein, die unheimlich war. Dieser Mann gab zu, getroffen zu sein, obwohl das Kampfgericht für ihn entschieden hatte. Bedeutete nicht sein freiwilliges Bekenntnis den Verlust der Goldmedaille, der höchsten Ehre auf der Olympiade? Dann aber überströmte das Gefühl für die Größe dieses Mannes den Raum. Italiener stürzten herbei, um den Franzosen zu umarmen. Beifall toste durch die Halle.
Der lange Italiener aber hob verwirrt die Waffe zu Salut.